Die Inkunabel

Der Begriff Inkunabel bezeichnet im Allgemeinen die Drucke aus der Anfangszeit des Buchdrucks, welche mit beweglichen Lettern in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gefertigt wurden. Als wichtige Zeitzeugen der europäischen Buchdruckgeschichte faszinieren Inkunabeln viele Sammler und Forscher in aller Welt. Auch andere Erstwerke der verschiedenen grafischen Künste werden oft als Inkunabeln bezeichnet. Hierzu zählen u. a. die Druckwerke technischer Verfahren wie etwa Stiche oder Radierungen. Zur besseren Abgrenzung des eigentlichen frühen Buchdrucks hat sich im deutschen Sprachraum auch der Begriff Wiegendruck etabliert.

 

Deffinition und Abgrenzung zu späteren Drucken

 

Die Inkunabelzeit beginnt mit der Erfindung des modernen Buchdrucks um das Jahr 1450 und endet per Definition zusammen mit dem 15. Jahrhundert am 31. Dezember des Jahres 1500. Die Werke der nachfolgenden Jahre werden hingegen als Post-Inkunabeln bezeichnet, wobei deren zeitliche Abgrenzung zu späteren Drucken vielfach diskutiert wird.

Rubrizierung einer InkunabelDie frühen Drucker verstanden sich primär noch als Künstler und experimentierten viel mit den Schrifttypen und der grafischen Gestaltung ihrer Werke. In Form, Schrift und Bildsprache imitieren die gedruckten Erstwerke noch die typischen Handschriften der damaligen Zeit und ließen sich von Laien anfangs kaum von diesen unterscheiden. Bewusst wurden die einzelnen Buchstaben mit leicht variierenden Lettern gesetzt und auch die typischen Ligaturen gaben dem Druckbild der Inkunabeln ein organisches Aussehen. Alleine für die berühmte Gutenberg-Bibel (B42) wurden so rund 290 individuelle Lettern gefertigt und eingesetzt. Die aufwendigen und vielfach von geübter Hand eingefügten Rubrizierungen, Illuminationen und Buchmalereien rundeten das typische optische Erscheinungsbild der damaligen Druckwerke ab.

 

Werke, Auflagen und Verbreitung

 

Zur Jahrhundertwende zum 16. Jh. gab es bereits an die 1.000 Drucker welche sich auf rund 250 Offizinen verteilten. Die Anzahl der im 15. Jh. hergestellten und publizierten Werke wird auf ca. 28.000 bis 30.000 geschätzt.

Man geht weltweit von etwa einer halben Millionen erhaltener Exemplare aus, wovon sich ca. 125.000 Stücke in Deutschland befinden dürften. Ein Großteil hiervon verteilt sich über Museen, öffentliche und nichtöffentliche Bibliotheken sowie staatliche Sammlungen. Auch in privater Hand befinden sich viele Inkunabeln und werden gelegentlich am freien Mark in Auktionen angeboten.

 

Die Rubrizierung der Inkunabeln

 

Das System der farbigen Gliederung sowie die Betonung von Textpassagen und das Einbringen von Schmuckelementen wird als Rubrizierung (lat. rubricare – rot färben) bezeichnet.

Der Platz für die Initiale, den Anfangsbuchstabe am Beginn eines Absatzes bzw. Abschnittes, wurde bei den Wiegendrucken oftmals freigelassen. Gelegentlich wurde die freie Stelle mit einem kleinen Platzhalter, dem Repräsentanten, versehen. Dieser gab dem Rubrikator vor, welche Initiale jeweils eingezeichnet werden musste. Das Einbringen aufwendiger Rubrikationen erfolgte zumeist in zwei Arbeitsschritten. Zuerst wurde vorgezeichnet und im nächsten Schritt erfolgte die eigentliche Koloration. Neben dem namensgebenden und charakteristischen Rotton, welcher aus zerriebenem Zinnober und Eigelb bestand, fanden auch blaue und grüne Pigmente Verwendung. Seltener sind gelbe Anstreichungen der Großbuchstaben und Hervorhebungen der Alineazeichen, welche die Lesbarkeit im Blocksatz zusätzlich erhöhten.

Je nach Geschmack und Geldbeutel des Auftraggebers fielen die Rubrizierungen mehr oder weniger aufwändig aus. Vielfach wurde auf diese aus Kostengründen auch ganz verzichtet oder es finden sich nur Rubrizierungen auf den ersten Seiten, um den Druck in der Auslage des Buchhändlers besser präsentieren zu können. Nur ein kleiner Teil der heute erhaltenen Inkunabeln weist diese Verzierungen auf und durchgehende Rubrizierungen sind noch seltener. Im frühen 16. Jahrhundert wurden zunehmend Schmuckinitialen als kleine Holz- und Kupferstiche eingesetzt, welche die kostspielige und zeitaufwendige Rubrikation schnell verdrängte.

 

Das Kolophon

 

Zum Abschuss vieler Wiegendrucke finden sich im Kolophon (auch Explicit ) Angaben zum Drucker, dem Auftragsgeber, dem Zeitpunkt des Drucks sowie zum verwendeten Schrifttyp. Das Kolophon findet sich zumeist auf der letzten bedruckten Seite und ist der Vorgänger des Impressums. In den Anfangsjahren des Wiegendrucks wurde auf solche Angaben oftmals bewusst verzichtet, um die Drucker umstrittener Werke zu anonymisieren und vor Repressalien zu schützen. Ab dem Jahr 1530 wurden Impressumsangaben für Drucke im Heiligen Römischen Reich gesetzlich verpflichtend.

 

Das typische Druckbild der Inkunabel

 

Mit der strikten Einhaltung des Blocksatzes versuchten die Drucker das Erscheinungsbild der handschriftlichen Manuskripte zu imitieren. Die Buchstaben eines Blocks waren somit links- und rechtsbündig abschließend. Hierzu wurden Abbreviaturen (Abkürzungen) in Form von Suspensionen (Abkürzungen am Wortende) und Kontraktionen (das Weglassen von Buchstaben im Mittelteil) verwendet. Ein weiteres Stilmittel sind die Ligaturen, bei denen zwei oder auch mehrere Satzzeichen zu einer Glyphe verschmolzen werden. Der teils exzessive Einsatz dieser Gestaltungselemente erschwert die Lesbarkeit für heutige Betrachter.

Blocksatz einer Inkunabel

Im Bild der typische Blocksatz bei einem Druck von 1492 (Ambrosius Opera, Johann Amerbach in Basel).

 

Die Buchbindung

 

Meist wurden frühen Drucke ungebunden gelagert und vertrieben. Nach dem Erwerb gab der Käufer das Buch an einen Buchbinder seiner Wahl. Aus Kostengründen wurden oft mehrere Werke zusammen gebunden.

In der Regel bekamen die Inkunabeln eine sog. Buchdecke aus stabilen Holzplatten, welche anschließend mit Pergament oder Leder bezogen wurden. Veredelt wurden die Umschläge oft mit sogenannten Blindprägungen, wobei zierende Ornamente mit erhitzten Stempeln oder Rollen in das angefeuchtete Bezugsmaterial geprägt wurden. Speziell dickere Bücher wurden mit Schließen versehen um das Werk zusammen zuhalten. Die Buchdeckel wurden manchmal mit Metallapplikationen versehen, welche als Abstandshalter dienten und das Buch zusätzlich schützten. Die Zuordnung von alten Umschlägen hat sich zu einem Spezialgebiet innerhalb der Inkunabelforschung entwickelt.

Sofern der Zustand eine Restaurierung erfordert, versucht man heute möglichst viel vom Originalmaterial zu erhalten und arbeitet bei den Ergänzungen im Detail mit alten Materialien. In früheren Zeiten ging man bei der Restaurierung meist nicht so sorgsam vor und verpasste den wertvollen Drucken kurzerhand einen neuen zeitgenössischen Einband.

 

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Bewertungen und Kommentare

 

  • Mike - 03.10.2017 19:57:34 Uhr


  • Claudius B. - 28.09.2017 21:51:21 Uhr

    Ein guter Start. Bin gespannt wie sich die Seite entwickelt.


 

 

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